Radeln on the Rocks – Auf dem Dempster Highway in die Arktis

München. Du steigst in dein Auto und machst dich auf den Weg nach Hamburg, das weniger als 800 Kilometer im Norden liegt. Am Rand der Autobahn liegen unzählig viele Häuser und Ortschaften. Städte. Millionen von Menschen leben entlang des Weges. Die Landschaft ändert sich. Zäune, Raststätten, Brücken, Asphalt, Autos, LKWs. Naja – und die leidigen Baustellen. Etwa die gleiche Entfernung haben wir in Kanada mit dem Rad von Dawson im Yukon nach Inuvik im Nordwestterritorium zurückgelegt. Der Dempster Highway ist eine ungeteerte Straße, die von der bewaldeten Taiga durch die baumlose Tundra in die Arktis führt. Weite Blicke, Berge. Keine Häuser. Ab und zu ein Auto. Elche, Füchse, Adler, Wildpferde, Bären, Karibus. Erst nach 370 Kilometern winkt ein Stück Zivilisation: Die Raststätte von Eagle Plains. 8 Menschen leben hier. Weiter nördlich sogar ein kleiner Ort mit Supermarkt. Insgesamt bevölkern nur etwa 1000 Menschen den Dempster. Erst in Inuvik weicht die Natur der von Menschenhand gemachten Zivilisation. Mit über 3000 Einwohnern ist sie aber eher ein Nest als eine Stadt. Und überall sonst: Wildnis. Es sind diese endlos weiten Blicke, die mir in Deutschland oft so fehlen und an denen ich mich hier in Kanada sattsehen kann.

Der Dempster. Quelle: Google Maps

Der Dempster. Quelle: Google Maps

Noch nie hatte ich von dieser Straße gehört. Beim Blättern im Straßenatlas ist sie mir aufgefallen. Denn kein Highway verläuft nördlicher in Kanada als der Dempster Highway. Mir war schon im letzten Winter klar: „Den will ich fahren“. Die nächste Straße im Osten befindet sich in Norwegen. Dazwischen liegt der dünn besiedelte Norden. Nunavut, Baffin Island, Grönland.

Mein Lieblingsnummernschild.

Mein Lieblingsnummernschild.

Arktischen Mohn gibt's nur ganz weit im Norden.

Um den zu sehen muss man ganz weit rauf. Arktischen Mohn gibt’s nur im Norden.

Der Nachbar im Westen, Alaska, baut noch bis in die Arktis Wege. Das Öl aus der Beaufort See will schließlich befördert werden. Und auch der Dempster Highway, der 1979 fertiggestellt wurde, wäre nicht mühsam auf dem eisigen Permafrost aufgeschüttet worden, wenn nicht Ressourcen und damit viel Geld in den Norden gelockt hätten.

„Betrunkener Wald“: Auf dem schmelzenden Permafrost ist es halt etwas wackliger.

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Uns lockt die Weite in den Norden.

In Dawson am Yukon, das im Sommer von goldrauschigen Touristen besiedelt wird, lernen wir beim Goldpanning Wettbewerb Martine aus Québec, Annika aus Bremen und Roberto aus Mexiko kennen. Radfahrer, die auch den Dempster fahren wollen. Nach kurzem Gespräch stellt sich heraus, dass wir in etwa gleich lange Tagesetappen planen und beschließen unsere Zelte am Highway gemeinsam aufzuschlagen. Das ist bärensicherer, denn mehr Leute – mehr Krach – weniger Bären!

Die Vorbereitungen

Wir entrümpeln unsere Radtaschen und nehmen nur das Allernötigste mit, um Gewicht zu sparen. Der Dempster ist eine Sackgasse und damit ist es logistisch einfach die überflüssigen Sachen in Dawson zu lassen. PC, Tablet, Sandalen und sogar die Taschenlampe bleiben am Yukon River. Schließlich fahren wir ins Land der Mitternachtssonne, das nördlich des Polarkreises liegt und es ist momentan immer hell. Lebensmittelvorräte für die Hälfte der Strecke verstauen wir in den Radtaschen und schicken ein Paket mit weiteren, nicht unbedingt kulinarischen Highlights, nach Eagle Plains. Wir haben dehydrierte Trekkingnahrung, Nudeln, Pesto, Nüsse, Trockenfrüchte, Kekse, Schokolade, Trockenfleisch und Müsliriegel eingekauft, denn leicht und platzsparend muss es sein.

Viel zu viel Plastik, aber das schützt vor Bären.

Viel zu viel Plastik, aber das schützt vor Bären.

Pasta geht immer beim Radeln.

Pasta geht immer beim Radeln.

Alles ist in Plastiktüten eingepackt. Das verringert den Geruch und hält uns Tiere vom Hals. Außerdem leihen wir uns einen Bärcontainer. Selbst wenn ein Bär unser Essen erschnüffelt (die Tiere haben einen unglaublich guten Geruchssinn über Kilometer), kann er diesen Behälter nicht öffnen oder kleinkriegen. Auch das Bären-Pfefferspray ist griffbereit im Handgepäck. Das Bärenglöckchen lassen wir lieber in Dawson, denn angeblich soll das Gebimmel neugierige Schwarzbären sogar anlocken. Seit Monaten hören wir immer wieder die Geschichte vom Radfahrer, dem hier ein Bär beziehungsweise ein Wolf nachgerannt ist. Aber wenn mir das passiert, fahre ich einfach schneller als Denise (alter kanadischer Kalauer). Wir haben Respekt, aber keine Angst.

Mit den Bärcontainer auf dem Gepäckträger geht's gen Norden.

Mit den Bärcontainer auf dem Gepäckträger geht’s gen Norden.

Es geht los!

Das Höhenprofil ist ein ziemlicher Zickzack. Die ersten zwei Tage geht es stetig, aber mäßig bergauf. Dann ein langer steiler Anstieg und eine lange Anfahrt. Die Straße ist mal steinig, mal festgefahren. Ständig verändert sich die Oberfläche. Schlaglöcher, Waschbrett, bei Regen Matsch, bei Trockenheit Staub. Aber insgesamt ist der Belag besser als erwartet.

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Eine Radtour an der Donau entlang ist sicher entspannter. Oft erinnert mich die Straße an die Hochlandüberquerung, die ich 2013 allein mit dem Rad in Island unternommen habe. Es ist nicht nur körperlich, sondern auch psychisch eine Herausforderung. Wir sind allem ausgesetzt. Kein Café zum Einkehren, kein Handyempfang. Nur die wenigen Autos (wir haben viel mehr vermutet), die sich auf den Weg zum Polarkreis oder weiter machen, sind die Verbindung zur Zivilisation. Auf den wenigen Campingplätzen am Weg, gibt es eine rustikale Hütte zum Kochen und von Moskitos bevölkerte Plumpsklos. Aber meistens stehen wir einfach „wild“. Es interessiert hier niemanden, wo wir unsere Zelte aufschlagen.

Regenpause: Die Hütte vom Campingplatz ist fast gemütlich. Wären nicht die Trilliarden von Moskitos!

Regenpause: Die Hütte vom Campingplatz ist fast gemütlich. Wären nicht die Trilliarden von Moskitos!

Zelten in der Mitternachtssonne.

Zelten in der Mitternachtssonne.

Der Spruch „Der Weg ist das Ziel“ passt hier haargenau. Denn ungeduldig auf die Ankunft warten, ist nicht der Sinn dieses Trips. Ich genieße das Weit-Weg-Sein von allem. Die weite Landschaft erzeugt bei mir auch eine Weite im Kopf und in den Gedanken. Es gibt nichts zu tun, außer Radfahren, Zelt aufbauen, Kochen, Essen und Schlafen. Ich mag dieses pure, einfache Leben in dem ich im Augenblick sein kann. Fast ein wenig überfordert bin ich, als wir in Eagle Plains nach sechs Tagen einrollen. Es gibt Internet. Im Restaurant zeigt das Fernsehen Neues aus Griechenland. Ich interessiere mich kurz dafür und denke mir im nächsten Moment, wie unwichtig das gerade für mich ist. Wichtiger nach dem anstrengenden Tag ist das Essen! Denn es gibt Burger, auf die wir uns schon tagelang gefreut haben. Die heiße Dusche nach dem Waschen in kalten Flüssen ist ein echter Segen. Mitten durch diese grandiose Landschaft mit dem Rad zu fahren ist unbeschreiblich. Es ist bis auf die letzten beiden (flachen) Tage nie langweilig. Anstiege, Abfahrten, die imaginäre Linie des Polarkreises.

Am Polarkreis waren wir schon mal in Schweden und Norwegen. Damals mit dem Bulli.

Am Polarkreis waren wir schon mal in Schweden und Norwegen. Damals mit dem Bulli.

Endlose Sonnenuntergänge, die unmittelbar in den Sonnenaufgang übergehen, Berge von schwarz bis grün, Elche, ein Stachelschwein, Wildpferde, Adler, Füchse und immer wieder Moskitos, die in diesen Breiten zum Abenteuer dazu gehören. Keine Bären. Nur Tatzenabdrücke im Matsch und frische Kothaufen am Straßenrand bestätigen ihre Anwesenheit. Wir radeln oft bis spät am Abend, denn Zeit spielt keine Rolle, wenn es immer hell ist.

Immer nach Norden.

Immer nach Norden.

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Gleich wird’s staubig. Schnell die Kamera weg.

Das Ziel

Nach elf Radtagen und zwei Ruhetagen erreichen wir Inuvik am Mackenzie Delta. Wir fühlen uns, wie in einem fremden Land. Es ist ein anderes Kanada. Die Gesichter der Menschen sind anders geformt, die Augen und die Haare dunkler. Hier leben verschiedene First Nations (Ureinwohner) wie zum Beispiel die Inuit. Fisch-, Robben- und Walfang für den eigenen Bedarf gehören noch zum Leben einiger Menschen. Die romantische Vorstellung von Iglus spiegelt sich nur in der Kirche des Ortes wieder. Die Leute sind total herzlich und offen. „Welcome to Inuvik!“, rufen uns viele auf der Straße zu. Ein warmer Empfang „up here“.

Sprung in der Arktis mit Annika und Roberto von www.tastingtravels.com und Martine aus Québec.

Sprung in der Arktis mit Annika und Roberto von Tastingtravels.com und Martine aus Québec.

Wahrzeichen von Inuvik: Die Iglukirche.

Wahrzeichen von Inuvik: Die Iglukirche.

Hier endet die Straße, weiter geht es nur per Boot oder Flugzeug. Ob wir den Weg wieder zurückradeln, wollen viele Leute wissen. Uns entfährt dabei immer ein entschiedenes „No!“. Per Anhalter kommen wir zurück nach Dawson. Elf intensive Tage auf dem Rad fliegen im Auto in zwölf Stunden wie im Rückwärtsgang an uns vorbei. „Viel zu schnell!“, denke ich mir und wünsche jedem einmal diese elementare Erfahrung der Entschleunigung. Im Yukon ist das noch möglich.

7 Antworten zu “Radeln on the Rocks – Auf dem Dempster Highway in die Arktis

  1. Waaaahnsinn!
    Erster Ferientag und ich spüre auch eine entschleunigung – aber eine ganz andere als ihr, alles Liebe und vielen Dank für diesen wunderschönen Bericht, das susannsche

  2. Ich bin immer wieder fassungslos, wie unglaublich mutig ihr auf der einen Seite und wie vertrauensvoll ihr (bezogen auf eure Fähigkeiten, aber auch auf das Schicksal oder das Glück) auf der anderen Seite seid.

    Euren Texte habe ich diesmal aus 2 Perspektiven gelesen. Beide kennt ihr: die der sprachlos/bewundernden Freundin und die der Mutter die denkt, hoffentlich kommen meine Kinder nie auf die Idee, ich würde vor Angst sterben.

    Aber ihr geht euren Weg, braucht weder die Bewunderung als Motivation, noch lasst ihr euch von der Angst der anderen abhalten. Vielleicht ist das eure größte Leistung.

    Und Luzi, mal ganz am Rande. Für mich ist das der beste Text, den ich von die gelesen habe. Den könnte man so auch in der Geo lesen.

    Ach ja, eine Frage hätte ich noch. Woher bekamt ihr das nötige Wasser? War immer ein Fluß in der Nähe der ausreichend trinkbares Wasser bereithielt? Für ein Couch Potato vom Dorf unvorstellbar.

    Seid herzlich gegrüßt

    • Vielen Dank für dein Lob!
      Zu deiner Frage: Wasser haben wir aus Flüssen genommen und behandelt. In Eagle Plains gab es Trinkwasser vom Hahn, da haben wir alle Reserven aufgefüllt. Es gab eine Passage, da war das Flusswasser voller Mineralien und nicht trinkbar. Sas wussten wir vorher.
      Aber wir waren ja auf einer Straße und da fahren Autos und in denen sind Menschen, die auch Wasser brauchen. In der Not hätten wir einfach ein Wohnmobil angehalten.
      Beim Trekking ist das was anderes, da ist man doch noch mehr auf sich gestellt!

  3. Hallo. Wir sind gerade beim kofferpacken und lassen uns vom tollen Reisebericht inspirieren. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, ein wenig nachträglich, und alles Gute wünscht Familie Daniela,Wolfgang,Nico und Fleur Schack.

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